Göggelsbuch (jsm/st) Seit Menschengedenken gab es in Göggelsbuch niemanden der auf die Walz ging, obwohl Zimmerleute und Handwerker vor Ort waren. Seit Samstag ist das anders, denn mit „Pauken und Trompeten“ wurde der 23-jährige David Pfaller von einer großen Menschenmenge verabschiedet und bis zum Ortsschild begleitet.
Bevor er seine Wanderschaft antrat, aber musste er zuerst dort eine Flasche Schnaps und eine Flasche mit Gut-Wunsch-Zetteln seiner Angehörigen und Freunde frosttief vergraben, dann aufs Ortsschild klettern und mit einem Sprung in die Arme der Wandergesellen den Marsch in die Ferne besiegeln.
Bei Schneefall und frostigen Temperaturen wurde die Abschiedszeremonie, die am Elternhaus begann und am Ortsschild Richtung Riedersdorf endete, mit großem Hallo gefeiert. Kein Zurück gibt es für den frisch gebackenen Wandergesellen nach dem Sprung übers Ortsschild. Auch zurückschauen durfte er nicht mehr, so schreibt es das Gesetz vor.
Zwei Jahre und einen Tag muss David Pfaller in der Fremde verbringen und erst dann darf er wieder nach Hause in die Heimat zurückkehren, wo er, das ist bereits jetzt sicher, wieder mit ebenso großem Hallo empfangen wird.
Seinen Entschluss, sich auf Wanderschaft zu begeben feierte David Pfaller zunächst am Freitag bei einer großen Abschiedsparty mit etwa 120 Personen im Göggelsbucher Jugendheim. Nach dem Ausfindigmachen eines „Altreisenden“, der den Neuling abholt und etwa ein Viertel Jahr auf der Walz begleitet, stand aber zunächst ein nicht leichtes Ritual an, dass David in Anwesenheit seiner Eltern, seines Bruders, seiner Verwandten und Bekannten sowie einiger Handwerksgesellen, die im Gasthaus Bögl in Hilpoltstein, einer von mehreren Stationen als Anlaufstelle, waren, bewältigen musste.
In die Gesellschaft der „tippelnden“ Wandergesellen der „Freien Vogtländer Deutschlands“ wurde er damit aufgenommen. Dazu wurde ihm als Erkennungszeichen der silberne Ohrring verpasst, nicht wie üblich durch Stechen beim Uhrmacher, sondern durch das Durchstechen des Ohrläppchens mit einem Zimmermannsnagel.
Beim so genannten „Aufklopfen“ bleibt dabei das Ohr solange an einem Tisch oder einer Bank festgenagelt, bis ein Spendenhut herumgegangen ist. Beim Aufklopfen erhält der Aspirant auch seine Ehrbarkeit bei den Freien Vogtländern, eine goldene Anstecknadel mit den Buchstaben FVD, die sichtbar im eingeschlagenen Hemdkragen auf der Brust getragen wird.
Mit Gelassenheit nahm David die Prozedur, wusste er doch auf was er sich eingelassen hat. Nur mit fünf Euro in der Tasche darf er die Walz beginnen. Das gesammelte Geld, das als äußerste Reserve gilt, wird zunächst von Davids Altreisenden und Mentor Julian Gund aus Heppenheim verwaltet, der bereits seit eineinhalb Jahren auf der Walz ist und in ganz Nordeuropa war. Kennen gelernt hat David Julian Gund im Bayerischen Wald. Genaue Einweisungen in die Vorschriften die für tippelnde Handwerksburschen gelten gab es von Gund. Denn, während der Walz gilt es auf Handy und EC-Karte zu verzichten, Schwarzarbeit ist nicht gestattet und darüber hinaus darf der Geselle seiner Heimatgemeinde nicht näher als 50 Kilometer kommen. Zu Fuß oder per Anhalter geht die Reise durch die Welt, ein eigenes Fahrzeug gibt es nicht. Lediglich bei Fernreisen ist das Besteigen eines Flugzeugs oder Schiffs genehmigt.
Keinerlei Verpflichtung darf er haben wenn er loszieht. Er muss schuldenfrei, ledig und kinderlos sein. Frühestens nach einem Viertel Jahr darf sich David vielleicht einmal kurz mittels ausgeborgtem Telefon bei seinen Eltern melden. Arbeit um zu reisen, reisen um zu arbeiten, lautet die Devise des neuen Lebensabschnitts von David, der je zur Hälfte aus Arbeit und Wandern bestehen wird. Rund 40 bis 50 Anlaufstellen für Wandergesellen gibt es im deutschsprachigen Raum, die Nachrichtenübermittlung läuft über die „Buschtrommel“.
Obwohl er mit einem lachenden und weinenden Auge wie er sagt geht und ihm die Trennung von seinen Angehörigen und seinen Freunden bei der DJK Göggelsbuch, bei der er aktiv war, schwer fällt, sieht er seine Chance in der Welt draußen. Er möchte beruflich unterwegs vieles lernen was er später gut gebrauchen kann. In der Regel ist aus allen Wandergesellen Größeres geworden, vom Meister, Techniker, Ingenieur bis zur Selbstständigkeit ist alles drin, meint der stets gut aufgelegte, wortgewandte und freundliche junge Mann, der in der Heimat einen ausgezeichneten Ruf besitzt und bei der Zimmerei Ramsauer in Allersberg das Zimmerer-Handwerk gelernt hat.
Cool findet Davids Bruder Jonas diesen Entschluss und auch die Eltern und die Oma befürworten seinen Schritt, auch wenn sie einschränken, dass alles leichter wäre, wenn man öfter Kontakt haben könnte. Doch alle im Ort sind überzeugt dass er gut durchkommen und die Walz schaffen wird, weil er so aufgeschlossen ist.
Aus allen Himmelsrichtungen nach Göggelsbuch gekommen waren die acht Kumpane, mit denen David am Samstag im Elternhaus bei einer zünftigen Brotzeit Abschied nahm, während draußen im Hof die Menschenmenge immer größer wurde. Nach der Stärkung zog sich David mit Julian in sein Zimmer zurück zum Packen seiner Sachen, denn auch das will gelernt sein. Sieben bis acht Kilo schwer durfte das Bündelpaar, kurz der „Charlottenburger“ sein, in das alles eingerollt wurde was er auf der Walz braucht, vom Wasch- und Rasierzeug bis zur Kleidung zum Arbeiten und zum Wandern. Ein abgerissener Knopf musste noch angenäht werden, doch dann wurde es ernst, es hieß endgültig Abschied nehmen.
Begleitet von einem großen Konvoi ging es dann durch Göggelsbuch bis zum Ortsausgang Richtung Riedersdorf. Dort musste David zunächst ein 75 Zentimeter tiefes Loch graben, um darin die Schnaps- und Gute-Wünsche-Flasche zu vergraben um dann, nach letzten Umarmungen mit Eltern, Bruder, Verwandten und Bekannten, das Ortsschild zu erklimmen.
Nach einer nochmaligen Stärkung mit Bier zum Singen von Wanderliedern, hieß es: Spring in die Arme der Mitgesellen und los geht die Wanderschaft mit dem „Charlottenburger“ und dem Stenz (Wanderstock) in der Gesellenkluft mit Schlapphut, ohne einen Blick zurück.
Hilpoltstein hieß die erste Station, denn dort wurde David nochmals im Kreise seiner Mitgesellen aufgenommen. Mit von der Partie bei der Abschiedszeremonie war auch Herbert Körner aus Meckenhausen, der von 1985 bis 1988 auf der Walz war und Markus Wild aus Möning, der ebenfalls als Wandergeselle unterwegs war.
Das Leitwort Walz bedeutet: Welt bereisen, anders denken, leben lernen und zünftig sein. Näheres zur Walz im Internet unter auf-der-walz@gmx.net">„auf-der-walz“ und „freie-vogtländer.eu“. @gmx .net
Autor und Fotos: Josef Sturm
Zur Bildergallerie von Josef Sturm geht's hier
Den Originalbericht des Hilpoltsteiner Kurier von Josef Sturm vom 02.12.2015
könnt Ihr hier nochmal nachlesen: walz-hk-2_12_15.pdf
04.12.2015 (RR)